Rückschau: SundMehr „Sexualisierte Gewalt oder SM?“
Elf Besucher des Gesprächskreises SundMehr trafen sich am 27. Oktober 2017, um sich über sexualisierte Gewalt auf dem Hintergrund und doch in Abgrenzung zu Sadomasochismus auszutauschen. Damit klar war, was unter Gewalt zu verstehen ist, wurde diese als „Einwirkung auf ein Gegenüber ohne “ also nicht nur gegen “ dessen Einwilligung“ definiert. Die Eingangsfrage, was „Gewalt in Beziehungen“ darstellen könnte, war für manchen schwer zu konkretisieren, weshalb schon bei einem ersten Statement darum gebeten wurde, eher von der Gewalttat zu sprechen, ob psychisch oder physischer Art, die dann in Beziehungen passieren würde.
Um die Möglichkeit zu erhalten, dass im Gespräch das Bewusstsein geschärft wird, welche Facetten Gewalt entstehen lassen können, wurde diese schwierige Unschärfe aber bewusst stehen gelassen.
„Gewalt ist mir aus der Kindheit bekannt. Wenn mir in der Beziehung Gewalt angetan würde, wäre ich weg!“ machte die nächste Teilnehmerin bei ihrem Vorstellungsstatement gleich klar. Ihre Nebensitzerin brachte Gewalt weder mit SM noch mit Beziehung in Verbindung und meinte ganz klar, dass Gewalt nicht zu tolerieren sei. Der nächste Teilnehmer stellte dar, dass eine Verhaltensweise von der Außenperspektive her betrachtet, wie Gewalt aussehen könnte, ohne dass sie dies, von der Innenperspektive gesehen, sei. So könne durchaus Bestandteil eines sadomasochistischen Spiels sein, Angst vor Gewalt zu erzeugen.
Gleichzeitig stellte er die Problematik dar: „Wenn wir das alle perfekt hinbekämen, auf Signale und Gesten der Gegenüber zu achten und sie korrekt zu deuten, benötigten wir ja keine Kennwörter.“ Ein anderer Teilnehmer stellte einen biblischen Bezug her. Dort sei ja
zu lesen „wer sein Kind liebt, der züchtigt es“ [im Original: „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten.“, Sprüche 13, 24] Dabei habe er andererseits gelesen, dass Schläge, als Erziehungsmittel zu SM-Neigungen führe und überlege mit Bezug auf sich selbst, ob dies stimme. Definitiv schlage er darum seine Kinder nicht. Für diese sei es ohnehin die heftigste Strafe, wenn er den Stecker des Modems für das W-Lahn ziehe. Ansonsten käme ihm bei „Gewalt“ auch der Begriff „gewaltig“ in den Sinn, den man auch für Naturerscheinungen benutze.
Eher etymologisch ging ein anderer Teilnehmer an die Frage heran und erklärte, dass von seiner Herkunft her „walten“ in Gewalt stecke, was ursprünglich „etwas bewirken“ meine. Dabei fände er die psychische Gewalt weit schlimmer, als physische. Ein Beispiel dafür zeigte sich beim nachfolgenden Paar, denn die Frau fand vieles von dem bereits gesagten so passend, dass sie sich dem nur anschließen könne und das Wort an ihren Mann weitergab, der dies Verhalten gleich augenzwinkernd als „Gewalt“ interpretierte, da er nun gezwungen sei, etwas zu sagen.
Sein Anlass zum ersten Mal an diesem Abend zu SundMehr zu erscheinen war, dass er Leute in seinem Bekanntenkreis kenne, bei denen er sich frage, ob deren Interpretation von SM nicht im Grunde schon Gewalt in der Partnerschaft darstellte. Er wollte hören, was andere Leute zu diesem Thema zu sagen hätten.
Dass Gewalt nichts mit den Rollen, die in der Partnerschaft bezüglich SM definiert sind, zu tun haben muss, war einer anderen Anwesenden wichtig.
Ein Bestandteil von Gewalt in Partnerschaften kann ja durchaus auch sein, dass Information, in einem Zweiergespräch gegeben wird, in einer anderen, vielleicht öffentlicheren Situation ausgeplaudert, missbraucht wird.
Als Einstieg ins Thema wurde darum dargestellt, dass „Gewalt“ in unserem Sprachgebrauch oft auch als „Naturgewalt“ vorkommt. Naturgewalten wie Sturm oder Hochwasser geschehen einfach, ohne dass irgendjemand intervenieren kann. Staatliche Gewalt ist legitimiert („potestas“) zwischenmenschliche Gewalt gilt als verboten („violentia“).
Erneut entstanden bei einem Teilnehmer Bedenken, ob der Begriff nicht doch schärfer gefasst werden könnte, denn „gewaltig“ sei eben nicht das Selbe wie „gewalttätig“. Doch tragen einfache Sichtweisen nicht immer zu einem größeren Bewusstsein in einer Diskussion bei, denn wer sich bei seinem Tun nicht nur auf Sicherheit, Klaren Menschenverstand, sondern vor allem Einvernehmlichkeit beruft, schließt damit kategorisch jede Gewalt aus. Dass es keinesfalls in Ordnung ist ohne Einwilligung jemanden ins Gesicht zu schlagen, dürfte jedem Sadomasochisten klar sein. Doch immer erst zu fragen „darf ich dich fesseln?“ und nach dem „ja“ loszulegen, zu fragen „darf ich dich schlagen“ und nach dem „Ja“ den Rohrstock benutzen lässt eine lebendige, authentische und lustvolle Atmosphäre beim erotischen Spiel nicht aufkommen; in der Praxis kommt eher eine Grundeinwilligung zum Tragen. Darum sollte es an diesem Abend darum gehen, die Sinne für Gefahren der Grauzonen zu schärfen.
Eine Gewalt, der man sich entziehen kann, präzisierte ein Besucher, sei für ihn weit weniger gravierend. Denn hier gäbe es ja immer noch eine Handlungsalternative des Gegenübers. „Doch welche Vorerfahrungen definieren, ob Möglichkeiten des Entzuges wahrgenommen werden?“ fragte eine Besucherin an. Schließlich gibt es das Phänomen, von Frauen, die sich immer wieder einen gewalttätigen Mann suchen und es nicht schaffen, sich zu trennen, oder nach kurzem Beziehungsabbruch wieder zurückkehren.
Die Gründe dafür werden in der Biographie zu finden sein. Allein dies Beispiel macht klar, warum es notwendig ist, für die Diskussion des Phänomens der „Gewalt“ von einem allein körperlichen Geschehen zu lösen und die psychischen Hintergründe mit zu beleuchten.
Gewalt kann durchaus auch subtile Formen annehmen, wurde festgestellt, dabei verändert sich, was gesellschaftlich an Gewalt toleriert wird.
Hier scheint man sensibler geworden zu sein, was die immer wiederkehrenden Diskussionen über Mobbing zeigen.
Einen konkreteren Bezug hinsichtlich BDSM stellte ein Besucher her, in dem er hinterfragte, wie in DS-Beziehungen mit Zumutungen gespielt wird.
Tatsächlich scheinen immer wieder auch submissive Partner Verhaltensweisen nur aufgrund ihrer Rolle zu akzeptieren, obwohl sie sie eigentlich schon längst nicht mehr erotisch oder schön finden. Der Wunsch sich selbst und seinen Partner in der jeweiligen Rolle zu bestätigen und darin sein Glück zu finden, scheint eine große Motivation zu sein. Dabei wird auch bei manchem Aktiven das Verhalten des Passiven / Submissiven Partners nicht richtig interpretiert. „Der Aktive muss voll Verantwortlich mit der Situation umgehen“ forderte ein selbst in aktiver Rolle SM-auslebender Besucher und wurde von seiner Partnerin
darin unterstützt: selbst wenn der Passive mehr will, als er offenbar verträgt, muss der Aktive erkennen und bestimmen, wann Schluss ist.
Daraus ließ sich schließen, dass auch die vorgeblich submissiven Partner die fordernden sein können, die sehr wohl auch Einfluss auf ihre dominanten Gegenüber ausüben kann der auch zur Gewalt werden? „Aus Gründen der Liebe immer mehr zu fordern muss keine Spezialität Dominanter oder Submissiver SM-Spielpartner sein“ wurde daraufhin festgestellt. Denn Liebe kann immer ein Grund sein, über die eigenen Grenzen hinweg zu gehen.
Muss dann nicht eher von „Macht“ als von „Gewalt“ gesprochen werden? Fragte ein Teilnehmer an. „Dem Partner etwas unterzujubeln, was er vielleicht nicht gerne will kann witzig sein, wenn es in den Beziehungsrahmen passt“ fand eine Teilnehmerin eher gelassen. Gewalt sei für sie gegeben, wenn eine negative Absicht, ein Vorsatz gegeben ist.
Fraglich sei dabei, welche Motivation hinter dem Verhalten stecke. Angst vor Beziehungsverlust sei für sie dabei ganz falsch die richtige Motivation sei für sie, wenn sie etwas machen ließe, weil sie es für sich schön fände. Schlimm sei, wenn man in einer Beziehung bliebe, obwohl sie einem nicht gut täte, kam die Bestätigung aus der Runde. Und dennoch wurde erneut betont, dass das Aufrechterhalten der Beziehung und der Liebe ein sehr großes Motiv sein kann.
Aus einem Gespräch mit der Mitarbeiterin einer Beratungsstelle, am Stand es Arbeitskreises SM und Christsein beim diesjährigen Kirchentag, wurde von Frauen berichtet, deren Beziehung sich auf initiative ihrer Partner polyamourös entwickelt hatte. Litten diese dann darunter und nahmen wahr, dass diese Beziehungsform ihnen nicht lag, bekamen sie die Vorhaltung, eben noch nicht so weit zu sein, sich noch weiter entwickeln zu müssen, was sehr verletzend ist. Bei gleicher Bedürfnislage könne dies ja in Ordnung sein, folgerte die Teilnehmerin.
Doch gäbe es naturgemäß unterschiedliche Bedürfnisse in jeder Beziehung.
Es sei eine große Herausforderung, dass die Kommunikation darum gerade in sadomasochistischen Beziehungen sehr gut sein muss. Gerade der Wunsch, sich und dem Partner was Gutes zu tun, kann sich auch als Falle entpuppen oder als Anspruch einer der Partner, an den er an sich oder den anderen stellt und an dem er zu verzweifeln droht, bis der Frust ihn zu Aggressionen treibt, die in Gewalt münden.
Die Kommunikation vor und nach einer Session wurde darum an diesem Abend als besonders wichtig betrachtet auch von Anwesenden, die dieser beim
letzten Gesprächskreis eher geringere Bedeutung zumaßen. Nur durch Offenheit und gute Kommunikation können Missverständnisse vermieden werden, bei denen der eine dem anderen seinen Willen aufzwingt, und einer von beiden hinterher feststellen muss, dass ein Stück Einvernehmlichkeit schmerzlich fehlte.
Zur Gewalt kann man auch verführt werden, oder sich selbst darauf einlassen denn ob etwas „Gut“ oder „Böse“ ist, hängt nicht allein vom Geschehen ab, sondern auch von der dahinterliegenden Motivation. Dabei gilt aber auch, dass nicht alles, was vordergründig als einvernehmlich bezeichnet wird, wirklich gut, für alle Beteiligten ist.
In Vorbereitung des Abends bestand die Idee, jemanden von einer entsprechenden Beratungsstelle einzuladen. Nach einer etwas längeren Vorlaufzeit gelang dies schließlich, jedoch erst kurzfristig, weshalb der Termin auf das nächste Jahr verschoben wurde. Dennoch wurden für den angebotenen Besuch der Beraterin einer Stuttgarter Beratungsstelle im Anschluss noch einige Fragen gesammelt.
Quelle: SWL