Rückschau SundMehr: Grenzerfahrung – Wanderung oder Überschreitung
16 Besucher mit sadomasochistischen Neigungen trafen sich am 24.04.2015 im Gesprächskreis SundMehr zum Thema „Grenzerfahrung – Wanderung oder Überschreitung“.
Nachdem es beim letzten Gesprächskreis um Zeichen ging, deren Symbolwert ja durch regelhafte Wiederholung an Aussagekraft gewinnt, wurde die Vorstellungsrunde mit der Fragestellung verbunden, wie wichtig jedem einzelnen Abwechslung im Bereich der Erotik ist. Der Tenor der Statements lag bei hoher Zustimmung, wobei Einzelne dies mit der Sicherheit verbanden, die man durch eine gewisse Routine gewinnt, und die wichtig ist, um sich vertrauensvoll fallen zu lassen. Gewarnt wurde auch vor einer Suche nach Abwechslung „auf Teufel komm raus“. Was Spaß mache, könne man ja wiederholen, meinte eine sehr junge Teilnehmerin die aus den Reihen der 3 anwesenden SMJG-Alumnis. Die Dosis macht´s, meinte Jemand, doch man muss nicht alles probiert haben – wichtiger sei Verlässlichkeit. Es geht um abwechslungsreiche Routine.
Das Gespräch wurde dann mit Hinweis auf die Notwendigkeit von Organismen, Reize zu erhalten, die idealerweise weder zu stark, noch zu schwach sind, eröffnet (unter Verweis auf den letzten Besuch eines Psychologen zum Thema „Flow“). Wer seinen Körper spüren will, nimmt zum Beispiel seine Haut erst wahr, wenn er von etwas berührt wird, was leicht, bis schmerzhaft sein kann – ohne Reize spüren wir die Haut, wenn sie gesund ist, gar nicht.
Die Körpergrenze wird erst wahrnehmbar, wenn etwas auf sie einwirkt, was bei Sadomasochisten ja nicht nur sanft sein muss – wird unsere Lust doch oft als Extrem bezeichnet und wir einer Art erotischen Bungee-Springer Fraktion zugeordnet. So hingeleitet zur Frage, in wieweit zunächst nur Grenzerfahrung für die Anwesenden wichtig ist, musste dies erneut von Grenzüberschreitung differenziert werden – für manche auch in der Diskussion ein schmaler Grat.
Ziel sei letztlich für sie, meinte eine der Anwesenden, dass beiden gefällt, was geschieht. Gerade von Besuchern der submissiven Spielart, wurde betont, dass es eher ärgerte, wenn eine Session zu früh aufhöre.
Schwierig sei auch, dass die Grenze nicht immer grundlegend festgelegt werden könne, denn die Tagesform spiele eine Rolle. Eine Teilnehmerin berichtete, dass sie manchmal gar nicht merke, wenn sie bei einer Session besonders viel ausgehalten habe, sondern dies dann von ihrem „Dom“ zurückgemeldet bekomme, während sie nur danach gehe, ob ihr gut täte, was passiert.
Grenzerweiterungen könnten dabei auch stolz machen, wusste ein anderer zu erzählen. Dabei kam es zu einem kurzen Exkurs, dass ja Menschen – ggfs. im viktorianischen Zeitalter – mit sehr engen moralischen Grenzen, den meisten Erweiterungsspielraum, und so die meiste Lust zu gewinnen hätten. Im Gespräch ging es dann jedoch weiter zu den Risiken, die auftauchen könnten: das olympische Prinzip („höher, schneller, weiter“) sei bei einer Session fehl am Platz. Risiken könnten auch auftauchen, wenn man sich nicht klar darüber ist, was man macht. So kann man bei Partys bei anderen erleben, was die treiben, und dann selbst feststellen, ob einem dies gefällt. Andererseits berichtete auch eine devote Teilnehmerin davon, dass sie so einmal ihren „Herrn“ bat, etwas auszuprobieren, was dann in der Realität gar nicht so toll, wie vorgestellt, war. Gruppenerleben kann also auch dazu antreiben, die Grenzen weiter hinaus zu schieben.
Mit diesem Aspekt konnte dann zum Bereich einer Grenzwanderung übergegangen werden. Wenn abgesprochene Grenzen eigentlich die „No-Gos“ sind, werden diese kaum zu überwinden sein. Dennoch wurden Erlebnisse berichtet, wo diese sich innerhalb einer Session verschieben – sogar bis zu einem Niveau, wo sie nach der Session nicht mehr akzeptiert sind, sodass Streit und Beziehungsprobleme die Folge sein können.
Eine positive Variante stellte die Situation dar, wo Partner sehr vorsichtig an ihre Grenzen „gebracht“ wurden, man sich dann dort im übertragenen Sinne aufhalten und die Grenzen dann erweitern konnte.
Fraglich war es hier in der Runde, ob es besser sei, dies vorher anzukündigen, was auch zu Angst vor der Grenzerweiterung führen kann, oder ob man als aktiver vorsichtig einseitig, den Partner an die Grenze bringen kann. Je nach Kenntnis der Situation kann auch die Überraschung mit der Grenzerweiterung, einen Kick bringen – oder gar: ein Psychospiel mit der Angst, indem dem Gegenüber vorgemacht wird, es würde allein gelassen, während der dominante Partner dennoch, zur Sicherheit, in der Nähe bleibt (oder in dem eine sichere Situation, ohne Publikumsverkehr gewählt wird, wovon die Nackte Sklavin, die vor der Türe, im Hausflur stehen muss, jedoch nichts weiß). Dennoch bleibt hier höchste Vorsicht angeraten, das geforderte Vertrauen und die Selbstaufgabe nicht zu enttäuschen. Ein Absturz könnte die Folge sein und starker Klärungs und Redebedarf noch als mildeste Folge – eine Traumatisierung, oder das Aufkommen von Erinnerungen an eine solche, dann die schlimmste; denn dies schließt therapeutischen Handlungsbedarf ein.
Bei all dem war aber auch die Erfahrung anzutreffen, von Subs, die selbst Angst vor einer Grenzüberschreitung hatten, sie aber gerne erleben würden. Sofern dies durch den dominanten Mitspieler ermöglicht werden kann, stellt dies sicher eine große Stärkung der Beziehung dar.
Je mehr sich eine Grenzerweiterung einer Grenzüberschreitung nähert, desto heikler wird die Situation. Denn eine Grenzüberschreitung bleibt letztlich Gewalt, wenn sie nicht durch den eigenen Wunsch des Mitspielers abgesegnet wird, und fällt damit aus dem Rahmen der Einvernehmlichkeit und unseres Verständnisses von SM. „Was soll auch eine Grenzerweiterung, wenn sie all die üblen Gefühle mit sich bringt, die die Situation unschön werden lassen?“, kommentierte eine Anwesende diesen Aspekt.
Die eigene Partnerschaft, und sei es auch die Beziehung zum Spielpartner, war den Anwesenden dann letztlich doch wichtiger, als Grenzdiskussionen in der Partnerschaft oder vor einer Session. Nach der Session, muss man sich körperlich, geistig und seelisch wohl fühlen, schloss ein Anwesender ab. Wobei die Art des körperlichen Wohlfühlens dann auch, wie alles Diskutierte, sehr unterschiedlich sein kann.
Besonders am Thema interessierte Anwesende wurden noch auf die aktuelle Fachbuch-Neuerscheinung der Soziologin Dr. Phil. Elisabeth Wagner: „Grenzbewusster Sadomasochismus : SM-Sexualit?t zwischen Normbruch und Normbestätigung“ hingewiesen, bevor der unmoderierte Teil sich anschloss.
Quelle: SWL